Zugegeben etwas lang, aber absolut lesenswert
In der Spur Jesu bleiben
Pfarrer Gerald Gump über Pfarrer-Initiative und Apostelgeschichte 2010 und die tägliche Arbeit für Kirche. Ein Gastartikel des Schwechater Dechants.
Was hat die Pfarrer-Initiative in den diözesanen Erneuerungsprozess APG 2010 einzubringen – so die mir gestellte Leitlinie für diese Zeilen. Und ich fühle mich nicht ganz wohl …Mehr
Zugegeben etwas lang, aber absolut lesenswert
In der Spur Jesu bleiben
Pfarrer Gerald Gump über Pfarrer-Initiative und Apostelgeschichte 2010 und die tägliche Arbeit für Kirche. Ein Gastartikel des Schwechater Dechants.
Was hat die Pfarrer-Initiative in den diözesanen Erneuerungsprozess APG 2010 einzubringen – so die mir gestellte Leitlinie für diese Zeilen. Und ich fühle mich nicht ganz wohl damit – aus zweierlei Gründen:
APG 2010 ist eine diözesane Initiative – die Pfarrer-Initiative hingegen arbeitet auf Österreich-Ebene; Priester aller Diözesen sind in ihr aktiv. Natürlich hat dies auch wesentlich diözesane Auswirkungen – so war es von Beginn an zentrales Vorhaben, in allen diözesanen Ebenen & alltäglichen Bereichen der Arbeit auf Erneuerung hin zu wirken.
Die Schlagzeile "Schönborn gegen Schüller" ist zwar für Zeitungen momentan DER Renner. Auch das durch die formalen Vorgaben naheliegende Bild des distanzierten Kritikers ist zwar medial interessant, aber für mich in der Realität falsch. Unsere Pfarrer-Initiativen-Mitglieder sind allesamt Priester, die meisten stehen intensiv in alltäglich pastoraler Arbeit und prägen Kirche am Ort aktiv mit – nicht "auch", sondern als wesentlichen Teil ihrer Berufung. Selbst bin ich als Pfarrer, Dechant, Kolping-Bundespräses und in div. anderen Funktionen tagtäglich an der Erneuerung unserer Kirche am Werk und bei den div. Erneuerungsprozessen unserer Diözese aktiv dabei. Die Proponenten der Pfarrer-Initiative sind keine außenstehenden Querulanten, die vom Logenplatz aus ein wenig aus Fadesse herum nörgeln, sondern gehören zu den Aktivsten, die die Kirche im Alltag tragen. Vielleicht hätten manche gerne eine Frontstellung zwischen denen "draußen" und denen "drinnen", nur zeugt eine solche Annahme entweder von Unwissen oder grenzt an böswillige Aufhetzung.
Genau deshalb – und da sind wir beim Kern unserer Anliegen – gibt es unser Engagement: Weil laut unserer Wahrnehmung manches in der Kirche verändert gehört, um in der Spur Jesu zu bleiben. So ist’s auch mit dem deutlichen Wort des "Aufrufs zum Ungehorsam": Hier geht’s nicht um ein Aufhetzen, sondern um den mit klaren Worten formulierten Hinweis, dass so manches, was (Gott sei Dank!) heute in guter Pastoral weithin geschieht, eigentlich nicht den offiziellen Regeln entspricht, daher "ungehorsam" ist: nicht Gott und den kirchlichen Grundlinien gegenüber, sondern manchen "Ausführungsbestimmungen". Natürlich ließe sich das mit "pastoraler Eigenverantwortung", "Ausnahmefällen" oder anderen, gut klingenden Worten weiterhin beschreiben, aber ehrliche & deutliche Worte helfen einer Auseinandersetzung letztlich mehr als Schön- und Herumreden. Aus diesem Hintergrund kann ich mir auch nicht vorstellen, dass die Pfarrer-Initiative ihre Forderungen "aufschnürt" oder mit geordneten Prioritäten in einen Verhandlungsprozess einsteigt – am Marktplatz der Diskussion z. B. Laienpredigt gegen Frauenpriestertum ablösen lässt. Aus Diplomatie beim Beschreiben der Sorgen im Volk Gottes unwahrhafte, aber verhandlungtechnisch schlaue Kompromisse einzugehen wäre nicht die Art Jesu. Auch sind nicht wir der eigentliche Verhandlungspartner, sondern eben das Volk Gottes, auf dessen Situation und Anliegen die Pfarrer-Initiative mit deutlichen Worten hinweist (und damit, wie div. wissenschaftliche Umfragen zeigen, sehr genau den Nagel auf den Kopf trifft). Hier wünsche ich mir, dass nicht mit dem Verweis: "Es sind nicht die zentralen Themen" darüber hinweg gegangen wird, sondern unnötiger Sand im Getriebe beseitigt wird, sodass das Wesentliche mehr gesunden Raum für Entfaltung hat!
Anregungen zum Diözesanen Prozess der Erneuerung
Es geht nämlich primär um lebendige, kirchliche Gemeinden im Geiste Jesu, so Gump.
Was kann aus all diesem Hintergrund jetzt konkret fruchtbar werden? Dazu im folgenden ein paar – ich gebe zu: ziemlich kunterbunt zusammen gestellte – Ansätze:
• Mein persönliches Lernen dieser Wochen geht dahin, dass es hilfreich ist, die Sachen klar beim Namen zu benennen – da muss ich selbst noch viel lernen! Natürlich widerspricht das unserer gut-wiener Art, alles ein bisschen zu umschreiben und verbal abzuschwächen. Letztlich aber ist’s nicht nur ehrlicher, sondern für einen ehrlichen Prozess besser, die Dinge deutlich & wahrhaftig auszusprechen.
• Jeder konkret formulierte Aufruf der Pfarrer-Initiative steht für eine größere Wirklichkeit. Bei der Auswahl von Priestern sich rein auf eine denkbar kleine Gruppe im kirchlichen Leben, nämlich auf zölibatäre, akademisch gebildete Männer zu konzentrieren, nimmt extrem viel von gesunder Breite, die wie ich glaube ganz im Sinne Jesu wäre. Dazu kommt eine praktische, aber fatale Auswirkung: Es geht nämlich primär um lebendige, kirchliche Gemeinden im Geiste Jesu. Kirche hat immer verstanden, im Bewusstsein Seiner Gegenwart auf jeweilige Situationen kreativ zu reagieren – es geht nicht um billige Zeitanpassung, sondern um kreatives Aktualisieren & Konkretisieren im Geiste Jesu. Die ersten Diakone wurden eingesetzt, weil es solcherart Männer brauchte. Im Priestertum heute wird dagegen der falsche Ansatzpunkt gepflegt: Nicht für das reelle Leben von Kirche werden die nötigen und durch ihre Vielfalt starken Vorsteher gesucht & kirchlicherseits "zur Verfügung gestellt" (Berufene gibt es ja!), sondern anhand der (zu wenig) geeigneten Priestern wird die Anzahl der Kirchengemeinden festgelegt: sei es durch die Zuordnung mehrerer Pfarren an einen Priester oder – letztlich nur deutlicher – durch deren Auflösung & Zusammenlegung.
Natürlich: Organisatorisch kann ich sicher mehrere Pfarren leiten – das habe ich auch im vergangenen Jahr konkret mit 2 Nachbarpfarren interimistisch getan. Aber: Seelsorglich ist das unmöglich. Als Pfarrer darf ich nicht vom "Hirten im Namen Jesu", der die Seinen kennt, mit ihnen Leben & Glauben teilt, zu eine Art Super-Manager werden, der für nichts und niemanden Zeit hat! (Alltags-)Leben & Glauben dürfen nicht auseinander fallen. Eine Zentral-Eucharistie, zu der aus aller Umgebung hingefahren wird, als Normalfall – das zerstört Kirche. Bei aller Hochachtung der Messe gegenüber ist eine gut gestaltete Wort-Gottes-Feier in der Ortsgemeinde sinnvoller und mehr der Grundidee des Sonntags entsprechend. Dies gehört aktiv gefördert – mit großer Unterstützung an all die vielen Ehrenamtlichen, die (auch) hier das Leben tragen. Sehr gut Ausgewählte unter ihnen sollen auch im Sonntagsgottesdienst immer wieder predigend zu Wort kommen.
• Daher wünsche ich mir herunter gebrochen auf das Leben unserer Kirche Wiens ein deutliches Bekenntnis (und wirkliche Praxis) zu überschaubaren Pfarren samt Ausstattung mit geeigneten Leitungen. Besser eine Pfarre bleibt ohne Pfarrer, als dass ein Pfarrer kommt, der sie zerstört (was keine Theorie, sondern unterschiedlich intensive Praxis in so mancher Pfarre ist). Ich wünsche mir ggf. Leitungs-Teams, die echte Verantwortung zugesprochen bekommen, Pfarrassistent/inn/en, die mit wirklicher Kompetenz ausgestattet sinnvoll die Pfarre leiten können.
• Ich wünsche mir ehrliche Praxis des grund-kirchlichen "Synodalen Prinzips", damit folgendes künftig nicht mehr passiert: das D’rüberfahren von jeweils Leitenden, die Diktatur der 51%-Mehrheit, das höfliche Zuhören aber nicht Beachten der Meinung des Volkes Gottes, das mehr auf Gesetze Hören, als auf den "Sensus Fidelium" auf allen Ebenen. Es darf keine Ämterbestellungen (z. B. Bischöfe oder Pfarrer) im Widerspruch zum Volk Gottes mehr geben, eine Einsetzung ohne wirkliche Mitsprache widerspricht den biblischen Grundlinien (Stichwort: neue Formen der Kandidaten-Auswahl bei Bischofsbesetzungen). Hier könnten Modelle in jeder Diözese erprobt werden.
Oder: Pfarrer, die durch ihre pastorale Praxis dem Volk Gottes nachweislich massiv schaden (manchmal auch durch übergenauen Gesetzesgehorsam), gehören abgelöst. Pfarrgemeinderäte dürften nicht mehr formal oder durch Leitungstricks übergangen werden. Auch das Veto eines Pfarrers darf nicht einfach Diskussionen beenden, sondern nur Ausgangspunkt für’s Weiterreden sein.
• Zum Synodalen Prinzip unter "Geschwistern mit einem gemeinsamen Vater" gehört für mich aber auch der offene und geschwisterliche Umgang miteinander – auf Augenhöhe. Das heißt für mich auch, von "Hochwürden", "Eminenz", "Heiliger Vater" (da gibt’s sogar ein deutliches Wort Jesu dazu) oder vielfältig anderem, nicht mehr zeitgemäßem Getue abzugehen: Ehrlich gehört unter Geschwistern gesprochen und gelebt.
• Ebenso gehört die theologisch eindeutig gleiche Würde von Frau & Mann wirklich ins Leben umgesetzt – in der Alltagspraxis, in der Liturgie (von der Lesungsanrede, über weibliche Gottesbilder bis zu nicht nur männer-geprägte Formen) bis zum ernsthaften Diskutieren über den Zugang zum diakonalen (und später priesterlichen) Amt.
• Sehr wünsche ich mir, dass die heutige Situation von Menschen noch viel mehr ernst genommen wird: Das Leben geht nicht mehr wie (angeblich) früher geradlinig durch 80 Jahre dahin. Da gibt es Brüche, Umwege, Distanz & wieder Nähe u. v. a.m. Dies gehört ehrlich wahrgenommen und pastoral, auch sakramental begleitet – das Prinzip "alles oder nichts" (= entweder das Glück einer sakramentalen Ehe – oder alles andere ist schwere Sünde) geht an der Praxis Jesu vorbei. Dafür braucht’s Segensangebote für Menschen in nicht kirchlich-offiziell geordneten Ehesituationen, wirkliche Offenheit für Menschen, die nicht in die kirchliche Idealform passen (wiederverheiratet, nicht-eheliche Partnerschaften, gleichgeschlechtliche Beziehungen etc.) – statt wegschauendes Dulden. Konfessionelle Grenzen haben im Alltag der Menschen keine wirkliche Bedeutung mehr – sie mit kirchlichen Vorgaben fast künstlich einzuengen kann nicht richtig sein.
Dazu noch eine konkrete Forderung für alle Ebenen & Bereiche unserer Kirche: Die menschliche Sexualität wirkliche positiv zu sehen. Gerne vergleiche ich sie mit dem Gebet: Beides ist biblisch-christlich gesehen eindeutig gut vor Gott – und kann missbraucht werden. Doch wenn bei Sexualität schnell das "Ja, aber" kommt und oft die Betonung auf Missbrauch (den es unzweifelbar gibt) liegt, ist kirchlich bei Gebet meist nur die Positiv-Sicht im Blick (und negativ-zerstörerische Formen von Spiritualität bleiben wenig beachtet).
• Im liturgischen Bereich leide ich unter neuerdings immer enger werdenden Ideen aus Rom, Rückschritte statt dem Prinzip der "ecclesia semper reformanda", der laufenden Erneuerung. Wenn all dies befolgt würde, zieht sich das Gottesdienstliche immer mehr aus dem Leben der Menschen zurück. Die Wirklichkeit des Lebens muss sich im Gottesdienst ausdrücken und durch gute Rituale und lebensnahe Sprache sprechen – nicht Formentreue & leblose Worte eben dieses ersticken. Vielleicht gehörte uns Pfarrern verordnet, von Zeit zu Zeit Gottesdienste "von der Bank" aus zu erleben – mit dem Versuch, es mit Augen von "Normalsterblichen Katholik/inn/en" mitzuerleben: Viel künstliches Getue oder lebensferne (Wort-)Hülse wäre schnell entlarvt.
• Und – fast wie eine Zusammenfassung: Ich wünsche mir, dass diese Grundlinien, die ja schon jetzt im Wesentlichen alltäglich – im "Ungehorsam" zur offiziellen Gesetzeslinie – von vielen Pfarrern (auch von mir) und Kirchengemeinden gelebt werden und aus tiefem Suchen nach dem Willen Jesu hier & jetzt entstehen, nicht dem pastoralen "Good-Will" der jeweils Agierenden obliegen und Engagierte einer kräftigen Zerreißprobe aussetzen, sondern auch offiziell der praktische Weg der Kirche werden.
Viele dieser Forderungen richten sich keineswegs nur an oberste Kirchenleitung, sondern gehen genau so an die "unteren Ebenen", an Pfarrer oder Kirchengemeinden. Und doch wünsche ich mir, dass unsere Österreichischen Bischöfe all diese (und andere) Anliegen viel stärker & allgemein wahrnehmbar in die Weltkirchliche Diskussion einbringen.
Natürlich fällt mir noch viel anderes an Ideen & Möglichkeiten für eine kirchliche Erneuerung im Geist Jesu ein – hier lässt sich nur ein kleiner Teil anführen. Aber: Schließlich arbeite ich (wie unzählige andere Menschen unserer Kirche) sowieso tagtäglich im kirchlichen Alltag genau daran: Die Kirche dort, wo ich stehe, in der Nachfolge Christi mitzugestalten. Nach bestem Wissen und Gewissen und im Hören auf Sein Wort, das uns auch heute zur Entscheidung ruft.
(Gerald Gump)