50 Jahre Liturgiereform: Vom Beiwohnen zum Mitfeiern

Vor 50 Jahren, am 4. Dezember 1963, wurde die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils veröffentlicht. Die Gläubigen in der katholischen Kirche wurden damit von Beiwohnern bei der Messe zu Mitfeiernden.

Die Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ sei viel mehr als ein bloßes „Handbuch für die Reform der Riten“; vielmehr sei sie „eine Magna Charta, die in der Lage ist, die Erneuerung der Kirche zu inspirieren“: Das erklärte Kurienerzbischof Piero Marini am Mittwoch bei einem Symposion im Salzburger Bildungszentrum St.Virgil.

Der „Chefliturgiker“ bei vielen Pastoralreisen Johannes Pauls II. und spätere Zeremoniär von Benedikt XVI. hielt den Festvortrag bei der Tagung, die die Liturgische Kommission für Österreich anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums des bahnbrechenden Dokuments veranstaltete.

Sendungshinweise

Berichte über den 50. Jahrestag der Veröffentlichung der Liturgiekonstitution sendete der ORF auch in Radio und Fernsehen.

„Grundmelodie aller Reformschritte“

Vor exakt 50 Jahren - am 4. Dezember 1963 - wurde „Sacrosanctum Concilium“ als erstes Konzilsdokument überhaupt veröffentlicht. Schon in diesem Dokument sei die Grundmelodie aller noch folgenden Reformschritte des Konzils erkennbar gewesen, so Marini. Mit der fast einstimmig beschlossenen Konstitution - dem in der gesamten Kirchengeschichte einzigen Konzilsdokument, das der Liturgie gewidmet ist - seien völlig neue Akzente gesetzt worden.

„Damit das christliche Volk in der heiligen Liturgie die Fülle der Gnaden mit größerer Sicherheit erlange, ist es der Wunsch der heiligen Mutter Kirche, eine allgemeine Erneuerung der Liturgie sorgfältig in die Wege zu leiten“, heißt es in dem Dokument. „Bei dieser Erneuerung sollen Texte und Riten so geordnet werden, dass sie das Heilige, dem sie als Zeichen dienen, deutlicher zum Ausdruck bringen, und so, dass das christliche Volk sie möglichst leicht erfassen und in voller, tätiger und gemeinschaftlicher Teilnahme mitfeiern kann.“

Prozession zieht aus einer vollen Kathedrale aus

Reuters/Mike Segar

Prozession während einer katholischen Messe - vor 50 Jahren wurde mit „Sacrosanctum Concilium“ der Grundstein für die heutige Gestalt des katholischen Gottesdienstes gelegt.

Landessprachen und Volksaltar

Das Zweite Vatikanische Konzil hat viele Änderungen in der römsich-katholischen Kirche herbeigeführt, die Liturgiekonstitution und die darauf folgende Reform des Ritus gehören aber sicherlich zu jenen, die das Erscheinungsbild der katholischen Kirche am meisten verändert haben. Bis zur Veröffentlichung des Dokuments wurden Messen in aller Welt in lateinischer Sprache gefeiert, der Priester stand meist mit dem Rücken zur Gemeinde am Hochaltar.

Erst durch die Liturgiereform, die durch „Sacrosanctum Concilium“ eingeleitet wurde, wurde es möglich, dass große und wichtige Teile des Gottesdienstes in der jeweiligen Landessprache gefeiert werden konnten. Darüber hinaus wurde der heute übliche frei stehende Volksaltar ermöglicht, an dem der Priester der feiernden Gemeinde zugewandt steht. Die Gläubigen wurden durch die Liturgiekonstitution von Beiwohnern der Liturgie zu Teilhabern.

„Tätige Teilnahme“ des Volks

Kein Wunder also, wenn Marini in Salzburg von „Sacrosanctum Concilium“ als „erste Konzilskonstitution - nicht nur in zeitlicher Hinsicht, sondern auch als Matrix für die anderen Konstitutionen und aller vom Konzil geförderten Erneuerungen“ spricht - etwa der Ökumene, der Mission oder des Dialogs mit der modernen Welt.

Mit der Konstitution sei „die Sicht von einer Kirche überwunden worden, in der der juridische und hierarchische Aspekt vorherrschten“, so Marini. Stattdessen erhalte die versammelte liturgische Gemeinde eine große Bedeutung - als „der normale Ort, an dem die Kirche sichtbar wird und in dem sich Christus und seine Brüder und Schwestern begegnen“. Die vom Konzil gewünschte „tätige Teilnahme“ („participatio actuosa“) des Volkes bedeutet laut Marini auch die Anpassung der Liturgie an verschiedene Situationen und Kulturen.

Piero Marini

Reuters/Pool Ettore Ferrari

Piero Marini

Abkehr von vorkonziliarer „Starre“

Vor dem Konzil seien nicht nur das kirchliche Leben, sondern auch die liturgische Praxis „von Starrheit charakterisiert“ gewesen, erinnerte Marini. Während seiner Zeit im Priesterseminar der Diözese Bobbio habe er jeden Sonntag eine Pontifikalmesse mit einer hoch komplizierten Zeremonie miterlebt, erzählte der Erzbischof: Die hermelinbesetzte „cappa magna“ des Bischofs, der Ritus, ihm die Schuhe auszuziehen und stattdessen die Pontifikalschuhe anzuziehen, erschienen ihm heute als „eine große und leere Choreografie, die sehr wenig mit dem authentischen Geist der Liturgie zu tun hatte“.

Signifikant für die vorkonziliare Liturgie: „Die ganze Aufmerksamkeit war dem feiernden Bischof vorbehalten“, die versammelte Gemeinde sei „praktisch sich selbst überlassen“ gewesen. Laut Marini ergab sich das Bild „eines großen Bruches zwischen dem Zelebranten und dem Volk“.

Ähnlich fällt die Analyse des deutschen Liturgikers Andreas Heinz aus, der die Liturgiereform am Mittwoch bei einer Tagung in Freiburg als Erfolgsgeschichte gewürdigt hat. „Aus der vormals priesterzentrierten Liturgie ist eine Liturgie des Volk Gottes geworden, dafür dürfen wir dankbar sein“, so Heinz.

„Schattenseiten“ in der Umsetzung

Auf Basis des Konzilsdokuments seien die Gläubigen von bloßen Zuschauern der vorkonziliaren Messe zu tätigen Teilnehmern und zum „priesterlichen Gottesvolk“ geworden, so der Wissenschaftler. Auch sei durch die Veränderungen, die „Schatzkammer der biblischen Texte wieder neu und weit geöffnet“ worden. „Denn die Schrift nicht zu kennen, heißt, Christus nicht zu kennen“, zitiert er den Heiligen Hieronymus.

Zugleich verwies Heinz auf „Schattenseiten“ bei der Umsetzung der Veränderungen. Bis heute bleibe das grundlegende Ziel der Reformen, durch die Liturgie das christliche Leben der Gläubigen zu vertiefen, eine große Herausforderung. Auch sei es ein Missverständnis der Konzilstexte, wenn die traditionsreiche Kirchensprache Latein vollständig aus dem Gottesdienst verbannt werde. Häufig fehle es in modernen Gottesdiensten, so Heinz weiter, an meditativer Atmosphäre und Momenten der Stille. „Stattdessen erleben wir falsche Betriebsamkeit und Aktionismus.“

KAP/religion.ORF.at