BND-Affäre:Das große Merkel-Versagen

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Echtes Interesse an Aufklärung der BND-Affäre? Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag (Foto: REUTERS)

Merkel hat totale Aufklärung versprochen - aber nie die Absicht gehabt, dieses Versprechen zu halten. Daran ist nicht der deutsche Geheimdienst schuld. Die BND-Affäre ist eine Merkel-Affäre.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Es ist manchmal schon erstaunlich, was eine Bundeskanzlerin so alles nicht weiß. Da gibt es seit fast zehn Jahren ein memorandum of understanding, in dem die komplexe Zusammenarbeit zwischen dem BND und der NSA geregelt wird. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel ist über die Existenz einer solchen Vereinbarung nichts bekannt.

Es ist Juli im Jahr 2013. Die Snowden-Dokumente erschüttern gerade den Glauben der Bürger in die staatlichen Institutionen. Merkel ist in der Bundespressekonferenz, um sich wie üblich einmal im Jahr kurz vor der Sommerpause ausführlich den Fragen von Journalisten zu stellen. Die Frage ist gerade, ob es über ein sehr altes Dokument hinaus noch mehr Vereinbarungen über die Zusammenarbeit der Geheimdienste gibt. Und Merkel antwortet: "Ich kann nur sagen: Mir ist es nicht bekannt. (...) Mir ist nichts anderes bekannt. Wir haben jedenfalls - mir ist wirklich nichts bekannt."

Die Bürger mussten beruhigt werden

Was damals so noch niemand ahnen konnte: Diese Pressekonferenz ist der Auftakt zu einer ungeheuren Desinformationskampagne der Bundesregierung. Geradezu unvorstellbar ist, dass Merkel diese nicht genau so gewollt hat. Gut zwei Monate vor der Bundestagswahl mussten die Bürger beruhigt werden.

Merkels Credo seitdem: Auf deutschem Boden habe deutsches Recht zu gelten. Und daran müssten sich auch die Freunde aus den Vereinigten Staaten halten. Sie, die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, verspricht in der Pressekonferenz: "Ich habe ein hundertprozentiges Interesse an den Dingen und daran, dass das rauskommt. Ich sage heute: Wir tun alles."

Zwei Jahre später lässt sich ohne Übertreibung sagen: alles Kokolores. Nada, niente, nix ist seitdem passiert. Die NSA hat einfach fröhlich weiter ihre illegalen Suchbegriffe auf die deutschen BND-Spährechner aufspielen lassen. Hat deutsche Unternehmen ausspioniert, deutsche Bürger. Und das alles unter den Augen von BND und Kanzleramt. Spätestens 2010 hat es im Kanzleramt konkrete Hinweise auf die Versuche der NSA gegeben, mit ihren Selektoren deutsche Interessen zu schädigen.

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No-Spy-Abkommen? Sollte es nie geben

Das No-Spy-Abkommen, wie es Merkel im Wahlkampf 2013 als praktisch unterschriftsreif dargestellt hat? Gibt es nicht und wird es nicht geben. Wie heute Dokumente beweisen, hatten die Amerikaner daran zu keinem Zeitpunkt ein Interesse.

Heute sagt Merkels Sprachrohr und Regierungssprecher Steffen Seibert, er habe die Öffentlichkeit jederzeit "nach bestem Wissen und Gewissen" über den Stand der Verhandlungen informiert. Wenn das stimmt, dann haben Teile der Bundesregierung Seibert für dumm verkauft. Wenn es nicht stimmt, dann hat Seibert die Öffentlichkeit stumpf angelogen.

"Bestes Wissen und Gewissen" ist schon seit Merkels Pressekonferenz im Juli 2013 die Formel der Wahl, um den eigenen Unwillen zu kaschieren, die Affäre ernsthaft aufzuklären. Egal was in BND, Kanzleramt und anderen Ministerien zum Thema NSA/BND laufe, ihre Minister hätten "mein volles, vollstes - oder wie immer Sie es haben wollen; Sie bewerten das ja immer - Vertrauen, um das ganz klar zu sagen", sagte sie damals. Sie, die Kanzlerin, wisse, "dass alle nach bestem Wissen und Gewissen ihre Arbeit machen".

Merkel hat damit sich und alle anderen in der Bundesregierung freigesprochen, bevor überhaupt die Klageschrift vorlag.

Später hat ihr damaliger Kanzleramtsminister Ronald Pofalla die Affäre kurzerhand für beendet erklärt. Die versprochene Aufklärung? Gibt es bis heute nicht. Die Abgeordneten im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages müssen der Regierung jede Information mühsam aus der Nase ziehen, seit der Ausschuss vor knapp einem Jahr seine Arbeit aufnahm.

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Die Bundeskanzlerin behauptet, ihre Arbeit "nach bestem Wissen und Gewissen" gemacht zu haben. Die Zusammenarbeit von BND und NSA und das nicht existierende No-Spy-Abkommen legen etwas Anderes nahe. Wie viel Vertrauen haben Sie noch in die Bundeskanzlerin?

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Merkel hat versagt

Das Problem ist nicht unbedingt, was Merkel am Tag der Juli-Pressekonferenz 2013 womöglich tatsächlich nicht gewusst hat. Das Problem ist, dass sie auch danach offenbar nichts wissen wollte. Und die Bevölkerung in wichtigen Fragen massiv getäuscht hat.

Sie hat damals etwas gesagt, was zwar eine Selbstverständlichkeit ist, aber dennoch bemerkenswert: Dass sie nämlich "als Chefin dieser Bundesregierung eine sehr klare Verantwortung habe". Als Chefin der Regierung müsse sie "zum Schluss den politischen Rahmen definieren und sagen: Was will ich? Und da will ich, dass auf deutschem Boden deutsches Recht eingehalten wird."

Ja, genau so sollte es sein. Es ist ihr Job, das zu wollen und umzusetzen. Nur: Merkel hat es nicht getan. Sie hat zwei Jahre lang die Hände in den Schoß gelegt und sich nicht gekümmert. Nicht der BND hat versagt. Oder, der vielleicht auch. Im BND wurde ganz offensichtlich erst spät erkannt, was die NSA da mit ihm treibt.

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Vor allem aber hat Merkel versagt. Sie hat ihr Versprechen gebrochen, die Affäre aufzuklären. Stattdessen hat sie mit einem angeblichen No-Spy-Abkommen Nebelkerzen gezündet um die Bevölkerung zu beruhigen.Wäre sie nicht Kanzlerin - die Affäre böte genug Anlass für einen Rücktritt.

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