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Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Die Leute lieben die Macht und verabscheuen die Medien

Angela Merkel hat in Sachen NSA und BND nicht die Wahrheit gesagt. Konsequenzen hat es keine. Skandalöse Enthüllungen werden gefahrlos ignoriert. Aber wer kontrolliert dann die Mächtigen?
Kanzlerin Merkel: Die am wenigsten naive Frau der Welt

Kanzlerin Merkel: Die am wenigsten naive Frau der Welt

Foto: Michael Sohn/ AP/dpa

"…die Amerikaner sind auch bereit, mit uns ein so genanntes No-Spy-Abkommen zu verhandeln". Das hat Angela Merkel im Bundestagswahlkampf am 11. September 2013 wörtlich gesagt . Es war gelogen.

Schon Mitte August hatte der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich in einem Interview erklärt: "Wir haben die Zusage, dass ein solches Abkommen bald abgeschlossen werden kann." Der stellvertretende Chef der US-Botschaft schrieb daraufhin in einer E-Mail an Merkels engsten außenpolitischen Berater  im Kanzleramt: "Ich habe mich über die Äußerungen von Friedrich in der 'Rheinischen Post' gewundert. Das wird Washington noch mehr verwirren."

Zu diesem Zeitpunkt war Angela Merkel schon acht Jahre lang die mächtigste Frau der Welt. Sie hatte Dutzende Kontrahenten fachfrauisch zerlegt. Sie musste als politisch maximal erfahren gelten. Es ist ausgeschlossen, dass eine solche Person nicht den Sinngehalt dieser Diplomaten-Äußerungen versteht. Es ist ausgeschlossen, dass derart wesentliche Informationen wie die wiederholte Ablehnung eines No-Spy-Abkommens durch viele verschiedene amerikanische Stellen nicht an Merkels Ohr gelangten oder sie diese gar aus Naivität fehlinterpretierte. Angela Merkel ist nicht nur die mächtigste, sondern auch die am wenigsten naive Frau der Welt. Also hat Angela Merkel persönlich am 11. September 2013 gelogen. Aber was nun?

Die Krise der entpolitisierten Öffentlichkeit

"Haha, Politiker lügen, irre Neuigkeit", tönt es aus den Mündern der Blitzbirnen landesweit. Diese Mischung aus Zynismus und vermeintlicher Abgeklärtheit ist ein fatales Gift für die Demokratie - und zwar genau dann, wenn es bedeutet, sich mit der bloßen Feststellung zufrieden zu geben. Zweimal schon lag die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen unter 50%, und das scheint schlimm. Andererseits möchte man vielleicht gar nicht herausfinden, was die Nichtwähler angekreuzt hätten, wenn sie hätten wählen müssen.

Es ist nicht klar, ob das Nichtwählen auf mangelndem politischem Interesse oder eher auf - durchaus nachvollziehbarer - Resignation beruht. Aber hinter beidem verbirgt sich ein weiteres, gravierendes Problem: eine Krise der entpolitisierten Öffentlichkeit. Anhand von Angela Merkels Lüge um NSA und BND offenbart sich diese Krise stärker als je zuvor.

Da ist ein Problem-Elefant im Raum: Was, wenn trotz aller Enthüllungen genau nichts passiert? Was, wenn ein mediales Potpourri an beweisbaren Vorwürfen Angela Merkel einfach nicht dazu bringen kann, irgendwelche Konsequenzen zu ziehen?

Merkels Macht wird größer, wenn nur wenige wählen

Bleischwer fällt dann das geringe Politikinteresse der Bevölkerung zurück auf die Kontrollfunktion der Medien. Eigentlich absurd und kontraintuitiv, dass Merkels Macht größer wird, wenn weniger Leute wählen. Aber genau das geschieht. Das leider nicht unwahrscheinliche Szenario: Die Presse der Bundesrepublik schießt aus allen Rohren, trifft Merkel, offenbart ihr undemokratisches, katastrophales Verhalten - aber die verbleibenden Wähler wählen sie einfach trotzdem. Wenn Merkel schlicht so beliebt wäre, dass eine entpolitisierte Bevölkerung alle Verfehlungen abtropfen lässt, für unwichtig hält, für das kleinere Übel. Und der Rest am Wahltag enttäuscht zu Hause bleibt. Was angesichts der Alternativkanzlersituation nicht einmal unverständlich wäre.

Das größtmögliche Begriffsgeschütz der Demokratie: "Vierte Gewalt" , so wirkmächtig stellt man sich die von der Verfassung geschützten, redaktionellen Medien vor. Das liest sich derart gut, dass bei praktisch allen Gelegenheiten von praktisch allen darauf verwiesen wird. Eine freie Presselandschaft schmückt ja auch ungemein. Aber faktisch hängt die Kontrollfunktion direkt und unmittelbar von der Mobilisierbarkeit der Wähler ab. Die Kontrolle der Politik durch die Redaktionen ist nichts wert, wenn eine Veröffentlichung keine Folgen hat. Denn die Kontrolle besteht im Wesenskern aus der Furcht der Politik, bei den nächsten Wahlen schlecht abzuschneiden.

"Politiker lügen halt, so what"

Mit einem Mal bekommen Begriffe wie "Lügenpresse" einen weiteren, schalen Beigeschmack. Die - zum Teil selbstprovozierte - Glaubwürdigkeitskrise der Medien bei der Bevölkerung kann die Kontrollfunktion bis zu dem Punkt schwächen, an dem der Bundesregierung im Ernstfall egal ist, was in der Presse steht. Da braucht es noch nicht einmal die FroMs, die "Friends of Merkel", also diejenigen Journalisten, die quer durch die Redaktionen selbst Fans von Angela Merkel sind. Ein gefährliches Ungleichgewicht ist entstanden: die Macht ist beliebt, die kontrollierenden Medien unbeliebt. Zusätzlich zur ohnehin bestehenden Refinanzierungskrise der professionellen Medien.

Für die Leute in der Fußgängerzone mag sich das anfühlen wie ein uninteressanter Nebenschauplatz der ohnehin wenig interessanten Spähkatastrophe von BND bis NSA. Tatsächlich ist diese längst zu einem Kampf der Medien selbst geworden: Welche Macht hat die "Vierte Gewalt" überhaupt noch in ihrer Eigenschaft als demokratische Kontrolle? Es geht dabei nicht mehr um das klassische Kohlsche Aussitzen; sondern um das Merkelsche Aussitzen auf Speed, getrieben von der schieren, unerschütterlichen Beliebtheit der Kanzlerin. Gestärkt durch achselzuckendes Geplapper wie "Politiker lügen halt, so what".

Im Raum steht die Ignorierbarkeit der Enthüllungen einer Medienlandschaft, die sich selbst immer als Korrektiv begreifen wollte. Und die vielleicht erkennen wird müssen, dass sie einer Illusion aufsaß - wenn derart substanzielle Lügen keine Konsequenzen mehr haben.

tl;dr

Der Kampf um BND und NSA ist auch ein Kampf um die Kontrollfunktion der Medien in der Demokratie. Können so große Lügen folgenlos bleiben?